MSL-Klettern in Ubrieux – Nervenkitzel pur: Frisson pour une jeune fille (80m, 3 SL bis 6a+)
Die Felsen von Ubrieux liegen an der Straße, die von Buis-les-Baronnies zum Klettergebiet Baume Rousse führt. Hier geht es immer lebhaft zu, der Parkplatz ist nie leer und die Felsen auch nicht. Doch einen ruhigen Platz gibt es in Ubrieux, eine Linie am rechten Rand – hier findet sich ein kleiner Schatz: die Frisson pour une jeune fille – 80 Meter, 3 Seillängen, 5c, 6a+ und 6a – Klettern liegt in der Luft.
Der nicht mal 30 Sekunden dauernde Zustieg ist ein Garant für patinierte Routen. Jeder Ubrieux-Kletterer sollte nicht nur dafür sondern auch für Geselligkeit eine gewisse Vorliebe mitbringen. Zwei Aspekte, die uns dazu gebracht haben, uns eher anderen Klettergebieten in der Gegend zuzuwenden.
Trotzdem kommt der Felsriegel von Ubrieux häufig in den Blick, beispielsweise bei der Zufahrt nach Baume Rousse oder am Pausentag beim Wandern. Die Wand steht erhaben und lockt mit seiner Kompaktheit. Bei jedem Anblick bewundert Achim die Wand und sucht sie nach von uns ungekletterten Schätzen ab.
„Maike, möchtest du nicht auch einmal auf dem Gipfel von Ubrieux stehen?“
„Kannst du dich nicht erinnern, wir waren letztes Jahr beim Chateau Ubrieux, das ist ganz oben. Mir reicht das.“
„Das war auf einer Wanderung. Möchtest du nicht auch den höchsten Punkt kletternd erreichen und die wunderbare Aussicht genießen? Da muss es eine Linie geben. Und wenn nicht, dann werden wir Erstbegeher.“
Seitdem wir mit Mehrseillängenklettern angefangen hatten, wurde Achims Enthusiasmus, Gipfel zu erklimmen von Jahr zu Jahr stärker und er sieht seine Kletterumwelt mit ganz neuen Augen.
Im Herbst 2019 suchte er mal wieder die Wand von Ubrieux nach einer schönen Linie ab, gleichzeitig warf er einen Blick in den Kletterführer.
Frisson pour une jeune fille – der erste Anblick
„Schau mal, ganz rechts“, er zeigte mit der rechten Hand in Richtung Felsen, „da ist tatsächlich eine Route, die auf den Gipfel führt. Sie heißt Frisson pour une jeune fille.“
Beim Versuch, seiner Hand zu folgen und die Linie zu finden wanderte mein Blick zwischen Wand und Kletterführer hin und her.
„Achim, das sind zwar nur drei Seillängen, aber das ist 6a+. Die Schwierigkeit ist in Mehrseillängen nicht meine Kragenweite.“
Doch Achim hatte ein neues Sehnsuchtsziel gefunden und er weiß, wie er mich ködern kann.
„Die Frisson pour une jeune fille sieht wirklich gut aus, eine tolle Linie mit Gipfelerlebnis. Und außerdem“, versuchte er es mit dem sprichwörtlichen Honig, den er mir um den nicht vorhandenen Bart schmierte, „du steigst doch jede 6a+ wie eine Elfe nach, das klappt schon. Wir schauen uns das in Ruhe an.“
Frisson pour une jeune fille – es geht los
Es folgten Tage in anderen Gebieten, doch irgendwann landeten wir in Ubrieux. Wir liefen an den trotz Patina teils wunderschönen Routen in den unteren Sektoren vorbei, hielten uns am Wandfuß und folgten dem Fels immer weiter bergauf.
Anfangs war der Weg klar zu erkennen, hier sind die Sektoren, in denen täglich Kletterer zu finden sind, dann wurde der Weg schmaler bevor er schließlich nicht mehr zu erkennen war. Ein Blick an die Wand und in den Kletterführer verdeutlichte, wir müssen noch höher, der Einstieg ist noch nicht erreicht.
Die Flora wurde stachliger und wir gestärkter in unserem Vorhaben, uns nicht von einem sich versteckenden Einstieg vom Klettern abhalten zu lassen.
„Ich erwarte eine extrem raue Route“, sagte ich zu Achim während ich mich durchs Dickicht kämpfte. „Wenn wir denn den Einstieg finden und ich nach dem steilen Anstieg noch Kraft habe, einzusteigen.“
„Klar finden wir den Einstieg und die Route wird großartig, ich verspreche dir das!“
Wir liefen immer weiter am Wandfuß entlang bergauf und suchten eine Stelle, die nach Einstieg aussah. Durch das Unterholz artete es fast in Arbeit aus. Die Dornen verabreichten uns ordentliche Kratzer, aber was tut Kletterer nicht alles für die Aussicht, eine schöne Route zu klettern.
Mittlerweile hatte ich mich mit der Idee angefreundet und blickte mit Vorfreude auf das heutige Klettern und das Gipfelerlebnis.
Plötzlich leuchtete mir der Routenname entgegen, ein liebevoller Schriftzug am Fels:
Die erste Seillänge ist mit 5c die leichteste und damit fiel mir die Ehre zu, diese vorzusteigen. Warmmachen in einer 5c ist nicht meine bevorzugte Variante, manchmal ist es nicht zu ändern.
Frisson pour une jeune fille – Einstiegsprobleme
„Achim, das geht gleich mit einem Einstiegsbauch los und du weißt, ich mag keine Bäuche.“ Ich schaute mir das bauchige Monster genauer an und mit den Worten: „Gib mir bitte den Kletterführer, wie viele Exen brauche ich?“, lenkte ich mich selbst davon ab.
„Denke daran, nach dem Überhang hast du den anstrengendsten Teil hinter dir. Danach wird es bestimmt einfacher.“ Achim reichte mir den aufgeschlagenen Kletterführer und sagte dabei: „Die Routenfindung sollte einfach sein, gerade hinauf bis zum Anfang der Verschneidung, die wir von der Straße aus gesehen haben.“
Aktuell konnten wir die nicht sehen, da wir den Einstiegsüberhang direkt vor der Nase hatten.
„Ist dir eigentlich klar, dass wir noch nie Kletterer in der Route gesehen haben? Vielleicht hat das einen Grund?“ Mit einem Zweifeln ausstrahlenden Blick ließ ich diesen von der Route zu Achim gleiten. Das ganze Unterfangen flößte mir, trotz Vorfreude, nach wie vor Respekt ein.
„Ja, super, die ist bestimmt total rau!“
Achims Begeisterung war dann doch ansteckend und ich erwiderte: „Acht Exen auf 30 Meter, na das wird ein Spaß, ich hänge die Keile an den Gurt.“
Das war eine gute Idee, ich verbaute unterwegs den einen oder anderen, nachdem ich mich über den Einstiegsbauch gewuchtet hatte. Ich hatte es rechts versucht, links versucht, frontal angegriffen und kurz bevor ich Achim die Ehre der ersten Seillänge übergeben wollte, tat sich leicht links eine für mich im Vorstieg machbare Lösung auf.
Die Frisson pour une jeune fille wehrt sich
Die erste Seillänge verlief unerwartet. Im Kletterführer hatte es für mich ganz gerade ausgesehen, doch jetzt war es eher eine Schlangenlinie, mal nach rechts, mal nach links, und ich quälte mich mit der Routenfindung.
Die Hakenabstände waren etwas weiter und da ich nicht nur oben sonders auch schräg rechts und links nach Haken suchen musste, dauerte es alles seine Zeit. Mein Ehrgeiz war geweckt und so nahm ich mir diese – ich wollte da hoch, zumindest erst einmal am ersten Stand ankommen.
Endlich war ich im Kletter-Flow und ich orientierte mich als Ziel immer am Einstieg in die Verschneidung, die ich nun deutlich sehen konnte. Dank der nicht gradlinigen Routenführung kletterte ich am ersten Stand vorbei.
„Vorsicht, Achim, ich klettere etwas ab, habe gerade den Stand unter mir gefunden. Er ist schräg unterhalb des Einstiegs in die Verschneidung.“
Ein paar Minuten später hing Achim neben mir am Standplatz und das verbliebene Material wechselte von meinem an seinen Gurt.
Frisson pour une jeune fille – die zweite Seillänge
„Jetzt kommen 40 Meter 6a+ mit 10 Exen, das wird mit einer kurzen Schlüsselstelle beginnen und dann sollte es gemütliche Verschneidungskletterei sein“, vermutete Achim als er sich die zweite Seillänge aus dem Stand heraus anschaute.
Wobei es auch hier nicht viel zu sehen gab. Unser Stand war unter einer Wulst und es galt wieder, zuerst einen Überhang zu überwinden. Die danach kommende Verschneidung hatten wir von der Straße und bei vielen Wanderungen am Bach entlang gesehen.
6a+ ist mein Limit – auch im Nachstieg – und ich dachte an Achims euphorisches Gesäusel, dass mich verleitet hatte, in diese Route einzusteigen. Wird schon gutgehen, sagte ich mir, ist es bisher immer. Und Verschneidungsklettern liegt mir.
Achim stieg in die zweite Seillänge ein. „Der Einstieg ist schon mal knackig“, schnaufte er kurz bevor er über den Überhang verschwand.
Gemächlich gab ich Seil aus, hörte Achim ab und an über den „fingermordenden“ rauen Fels fluchen. Doch auch ein glückliches, „ist zwar schwer, aber herrlich rau, wenn ich es nicht wüsste, würde ich denken, wir sind die ersten Kletterer hier“ vernahm ich. Klettern in Ubrieux ist eher für seine Patina bekannt, wie schön, das die Frisson pour une jeune fille eine Ausnahme bildet.
… die zweite Seillänge – nun auch für mich
Kurz darauf hörte ich die vertrauten Seilkommandos, setzte den Rucksack auf und kletterte los. Wie gut, dass der Überhang zu Beginn kam. Kraftvoll ging ich ihn an und tatsächlich löste sich die Kletterei gut auf. In der Erwartung, die Schlüsselstelle hinter mir zu haben, kletterte ich in die Verschneidung. Nun konnten wir uns auch wieder sehen.
Achim holte Seil ein und ich erfreute mich wie er an der rauen Wand. Gut 35 Meter über mir, war Achims Gesicht nicht im Detail zu erkennen, ich meinte aber, einen Kletterfreude wiederspiegelnden Ausdruck wahrzunehmen.
„Huh, das wird nicht leichter!“ Mühsam kämpfte ich mich Meter um Meter die 6a+-Verschneidung hoch und näherte mich dem zweiten Stand mit meinem mir entgegen grinsenden Sicherungspartner.
„Die Verschneidung hat es echt in sich, homogen und wunderschön“, hörte ich diesen von oben herunterrufen.
„Wer kam eigentlich auf die Idee, hier einzusteigen?“
Auf diese Frage grinste Achim nur, dachte ich zumindest, ich hatte keine Energie, um hochzugucken. Mein ganzes Augenmerk und meine volle Konzentration waren auf Klettern gerichtet und ich war mit nicht fallen beschäftigt.
Fallen mit Doppelseilen im Nachstieg würde bedeuten, die Stelle erneut klettern zu müssen.
Dieses für mich anspruchsvolle Klettern kann nicht gepaart werden mit anderen Aktionen, wie viel Reden oder herum gucken und schwierige Stellen wiederholen mag ich auch nicht.
Endlich lagen die senkrechten 40 Meter hinter mir und ich war gesichert neben Achim am Stand. „Ich bin fix fertig“, keuchte ich. „Die ganze Seillänge hatte keinen einzigen Ruhepunkt.“
Mit gefühlt letzter Kraft sah ich Achim an. „Du machst mich fertig mit deinem glücklichen Grinsen. Wo nimmst du bloß die ganze Energie her?“
„Du darfst heute Abend den Wein aussuchen.“ Mit diesen Worten versuchte dieser mich meine Frage ignorierend gnädig zu stimmen. „Komm, die letzte Seillänge schaffen wir auch.“
Frisson pour une jeune fille – das Finale
Die letzte Seillänge bietet drei Varianten, doch für mich war klar, es wird die leichteste gewählt – „nur“ 6a. Dafür ein Quergang zu Beginn.
Mir wurde eine kurze Luftholpause gegönnt, doch Achims „komm Maike, wenn wir oben sind machen wir eine Pause. Es ist fast geschafft!“, setzte den weiteren Rahmen.
In der letzten Seillänge konnte ich Achim die ganze Zeit sehen und hören. Ein ausgesetzter und aufregender Quergang zu Beginn und danach hüpfte er behände dem Gipfel entgegen. Zu meiner Ehrrettung sollte gesagt sein, ein wenig ausgepowert sah er auch aus.
„Kannst kommen“, schallte es einen kurzen Moment später und ich startete mit letzter Kraft in die finale Seillänge.
Der Quergang war kniffelig, doch löste sich alles auf.
„Ich glaube, das könnte klappen, der Rest sah bei dir nicht so schlimm aus.“ Das Achim nicht reagierte, hätte mir zu denken geben sollen.
Auf einmal sah ich mich einer glatten, einer sehr glatten Wand gegenüber. Mühsam kämpfte ich mich mit letzter Kraft Zentimeter um Zentimeter dem auf dem Gipfel sitzenden Achim entgegen.
Es galt wieder: Fallen und die sauer erkämpften Zentimeter erneut hochkämpfen ist keine Option.
„Doch, Maike, du musst den Griff da links nehmen.“ Vermutlich waren wir kaum einen Meter auseinander und Achim zeigte auf einen kleinen Knubbel.
„Hier geht es nicht weiter!“
„Da ist kein Griff …“
Aber dann sich ich ihn ganz plötzlich, den Rettungsgriff – rotschwarz und leicht beharrt am oberen Ende. Beherzt griff ich zu und kurz darauf saß ich abgekämpft und glücklich neben Achim auf dem Gipfel.
Klettern in Ubrieux – endlich oben
Ich war zu erschöpft, unsere Verpflegung aus dem Rucksack zu nehmen. Meine Hände ließen sich nicht wie gewohnt von mir kontrollieren. Vielmehr schafften sie es, gleichzeitig schlaff in meinem Schoß zu liegen und zu zittern.
So saßen wir dort eine ganze Weile, genossen den Blick über Buis-les-Baronnies, den Rocher St. Julien bis hin zu dem ungewohnt klaren Anblick des meist in den Wolken hängenden Gipfels des Mont Ventoux.
Wir waren uns einig, die für uns neue Route Frisson pour une jeune fille ist für das Klettern in Ubrieux eine tolle Ergänzung und lässt uns das Gebiet mit neuen Augen sehen.
Trotz der Anstrengung und des Fluchens über die Herausforderungen, die die Route an mich stellte, freue ich mich über das Erklimmen des Gipfels.
Außer der Nutzung des nicht immer in der Wand befindlichen fußförmigen Abschlussgriffs, bin ich alles frei geklettert – Vorstieg der ersten Seillänge inklusive.
Eine wunderschöne und homogene Route, die eine herrlich raue Verschneidung und einen ausgesetzten Quergang beinhaltet und die Kletterer auf den Gipfel von Ubrieux bringt.
Aber ich brauche das nicht täglich, so eine Route wie die Frisson pour une jeune fille, die mich an meine Kletter- und Energiegrenze bringt.
Frisson pour une jeune fille – Nervenkitzel für ein junges Mädchen – ich habe eine Idee, wo der Name herkommt.
Epilog
Am nächsten Tag unterhielt ich mich mit dem Vorsitzenden des örtlichen Klettervereins und einem weiteren Mitglied. Ich berichtete von unserem Ausflug nach Ubrieux und dem Klettern der Frisson pour une jeune fille.
Auf einmal sahen sie mich, glaube ich, mit anderen Augen, denn ich hörte ich sie sagen, dass sei eine taffe und anspruchsvolle Route für den Grad. Und sehr homogen beschwerlich, die bisher nicht viele Wiederholungen gesehen hätte.
Gerade die letzte Seillänge, egal welche Option gewählt wird, hätte es in sich.
Epilog 2
Am Abend, ich hatte den Wein ausgewählt (die Bar hatte Weiß, Rosé und Rot im Angebot – Rosé war meine Wahl), lernten wir zwei deutsche Kletterer kennen und wir berichteten von unserem Abenteuer. Sie kannten die Route aus dem Kletterführer und hatten bereits mit ihr geliebäugelt. Dementsprechend waren sie stark an unsere Erfahrungen interessiert.
Am nächsten Tag konnten wir zwei sich bewegende Punkte an der Wand ausmachen. Schön, auch andere Kletterer in der Route zu sehen.
Hardfacts für eilige Leser
Kletterführer: Escalade en Drome Provençale
Seillängen: 5c, 6a+, die dritte wahlweise: 6a, 6a+ oder 6c
Material: 50 m Doppelseile, 10 Exen
Zustieg: Vom Parkplatz Ubrieux zu den oberen Sektoren und dann immer am Wandfuß halten. Der Weg wird undeutlicher, aber weiterhin immer am Wandfuß entlang bis zum Einstieg, der durch eine Aufschrift am Fels gekennzeichnet ist. Es dauert ca. 10 Minuten ist wird zum Ende hin etwas steiler.
Abstieg: Vom Gipfel zurück zum Einstieg abseilen.