Klettern an der Côte d’Azur bis 6a+ – Sportklettern und traumhafte Mehrseillängen
„Kaum ein Klettertourist hat sich bisher dahin verirrt!“ Diese Aussage war für uns Versprechen und Verheißung zugleich. Und wir sollten nicht enttäuscht werden: Klettern an der Côte d’Azur ist eine feine Sache und gerade die Gegend rund um Toulon ist ein fantastischer Gastgeber für kletternde Urlauber.
Für Kletterer ist die Côte d’Azur normalerweise mit den Calanques nahe Marseille verknüpft. Wir, Achim und ich, sind zwar begeisterte Südfrankreich-Fans, hatten jedoch bisher das berühmte Gebiet gemieden. Zu oft hörten wir von abgespeckten und trotzdem überfüllten Routen. So erkundeten wir stattdessen lieber bewährte Orte und Neuentdeckungen im Hinterland.
Und an einem solchen Ort, in Baume Noir in der Nähe von Buis-les-Baronnies, lernten wir Kletterer aus Toulon kennen. Sie schwärmten uns dermaßen von rauen, fast noch unberührten Felsen in lieblicher Landschaft in ihrer Heimat an der Côte d’Azur vor, das wir ganz selbstverständlich gleich bei Erscheinen in 2022 den Kletterführer „Toulon“ kauften.
Mit ihm in der Hand fühlten uns wie Kinder im Süßigkeitenladen: Lauter Leckereien lagen vor uns. Sportklettergärten und Mehrseillängenrouten sind dort zu finden. Vor allem die Schlucht von Destel mit seinem riesigen Angebot an Mehrseillängen war der Bonbon aus der Riege der Klettergebiete, die sich wie ein Heiligenschein im Hinterland von Toulon verteilen, der mich magisch anzog.
Es war nicht der erste Kontakt mit einem Kletterfüher aus der Gegend. Bereits seit 2008 steht ein Provence-Kletterführer in unserem Bücherregal (und ist schon mehrmals mit uns umgezogen). Handgezeichnete Topos, schlechte Zustiegsbeschreibungen und das ganze auf Französisch.
Damals konnten wir noch nicht wirklich klettern, doch unsere Vorliebe für Südfrankreich als Reiseziel hatte Achim veranlasst, sofort zuzugreifen als er dieses Schmuckstück bei Pizbube in der Schweiz in der Auslage sah.
Ganz anders der neue Kletterführer „Toulon“. Dieser überzeugt mit Fototopos, Geokoordinaten und alle wichtigen Informationen gibt es auch auf englisch. Damit kann es wahrlich an den Fels gehen!
Er enthält Topos und Informationen sowohl zu Sportklettergärten als auch zu Mehrseillängenrouten. Und es ist im für mich relevanten Schwierigkeitsbereich bis 6a+ ausreichend Auswahl vorhanden, um einen ausgedehnten Kletterurlaub in der Region zu verbringen.
Klettern an der Côte d’Azur – Vorüberlegungen
Die Côte d’Azur ist neben Paris die tourismusintensivste Gegend Frankreichs. Die namensgebende azurblaue Küste zieht die Reichen und die Schönen an. Und die, die sich in deren Licht sonnen wollen. Damit ist die Auswahl an Unterkünften und das gastronomische Angebot schier unendlich und das unvermeidliche Glas Rosé gibt es an jeder Ecke.
Warum sollten sich naturverbundene Menschen, die wir Kletterer nun mal sind, dazu gesellen?
Weil es sich lohnt!
In der Hauptsaison, wenn wirklich alle, die nicht in Paris weilen, an der Côte d’Azur sind, wollen wir dort eh nicht sein. Im Sommer ist es dort viel zu heiß zum Klettern. Doch in der Vor- und Nachsaison kann man geschickt die Vorteile des riesigen Unterkunfts- und Gastronomieangebots nutzen und nach persönlichen Bedürfnissen auswählen.
Wir waren im April dort und da war es nach einem Frühstück auf dem Balkon tagsüber warm genug zum entspannten Klettern und am Abend frischte es auf, so dass man dann immer eine Jacke dabei haben sollte.
Und wie auch an Ost- und Nordsee lassen sich mehr oder weniger mondäne Orte finden. Solche, die eher zu einem passen als andere. Auch ruhesuchende Menschen finden Plätzchen unweit des Meeres, um im Licht der untergehenden Sonne ein Glas Rosé zu genießen.
Klettern an der Côte d’Azur – Sportklettern
Von Castellet im Westen bis Fenouillet im Osten warten zahlreiche Sportklettergärten auf kletternde Besucher. Diverse Klebchen zieren und Kletterführer, doch haben wir uns auf Mehrseillängen konzentriert und nur zwei der Sportklettergärten besucht:
- Gros Cerveau
- Jaume
Beide haben jeweils über 100 Routen im Angebot. Gros Cerveau verwöhnt mit einem kurzen Zustieg und Jaume mit einem wunderbar rauen Fels.
An beiden Tagen waren wir allein am Fels, was die Aussage „ist noch nicht auf dem klettertouristischen Radar“ bestätigt.
Im Gegensatz zu den sonstigen Klettergärten, die ich in Südfrankreich kenne, ist die Bewertung – gerade in Jaume – eher norddeutsch. Dafür aber mit französicher Absicherung.
Klettern an der Côte d’Azur – Mehrseillängen in der Schlucht von Destel
Es war dann so wie der erste Eindruck beim Durchblättern des Kletterführers (und übrigens war das beim ersten von 2008 auch schon so) erwarten ließ: Ich habe mich in die Schlucht von Destel verliebt.
Eine tolle Auswahl gut gesicherter Mehrseillängenrouten in gemäßigten Graden erwarten freudige Kletterer und überraschen ebenfalls mit herrlich rauem Fels. Vielleicht lag gerade das wunderbare Felsgefühl daran, dass wir nur Routen ausgewählt haben, die in den letzten Jahren erschlossen wurden …
Auf jeden Fall: das war grandios. Auch ist die Absicherung in diesen Routen für die Anreise ohne mobile Sicherungsmittel geeignet.
In anderen Gebieten habe ich es bereits häufiger erlebt, das die leichteren Längen deutlich weitere Hakenabstände aufwiesen. Was von der Idee her verständlich ist, aber für Seilschaften mit unterschiedlicher Vorstiegsmoral und Wechselführungsambitionen eher schwierig:
Meist klettert der schwächere Part der Seilschaft die leichteren Seillängen, die dann weitere Hakenabstände aufweisen und damit eine höhere Moral erfordern. Zumindest bei den von uns gewählten neueren Routen konnten wir das so nicht beobachten.
Insgesamt waren wir an vier Tagen dort und haben jeweils eine Tour gemacht. Insgesamt haben wir weniger als eine handvoll andere Seilschaften getroffen.
Bereits auf dem Parkplatz bekommt man einen ersten Eindruck der eindrucksvollen Destel-Schlucht. Magnetisch wird der Blick hineingesogen und dem einen oder anderen Kletterer kommt sicherlich auch der Begriff Verdon in den Sinn. Auf beiden Seiten der Schlucht schieben sich die zum Klettern einladenden Felsen empor.
Doch hier muss nicht wie bei seiner berühmten Cousine Verdonschlucht zuerst abgeseilt werden, sondern man tritt von unten an die Felsen heran und dort beginnt auch die Kletterei. Der Zustieg startet immer im Flussbett der Destel und manchmal beginnt auch die Klimmerei direkt dort. Bei einigen Routen muss noch etwas über mehr oder weniger befestigte Wege zum Einstieg aufgestiegen werden. Der Abstieg erfolgt meist als Wanderung zurück hinab zum Flussbett der Destel, es wird seltener über die Route abgeseilt.
Klettern in der Schlucht von Destel – unsere Routenwahl
Vier Klettertage verbrachten wir in der Schlucht von Destel und kletterten vier Routen. Ambitioniertere Kletterer können sicherlich ganz einfach zwei oder drei davon kombinieren, um einen erfüllten Klettertag in der Schlucht zu verbringen. Uns reichte das und wir haben die restliche Zeit lieber mit Routenplanung für den nächsten Tag und Weinkaufen verbracht.
- die Dernière Cartouche (6 SL, 180 m, 6a+),
- Donjons et Dragons (7 SL, 160 m, 5c),
- Ave Caesar, Ascenturi te Salutant (7 SL, 180 m, 5c) und
- die Les Temps Modernes (4 SL, 80 m, 5c+).
In der Dernière Cartouche wechseln sich schwerere und leichtere Seillängen ab, was die Route ideal macht für Kletterer unterschiedlicher Vorstiegsmoral mit Wechselführungsbegehr. Die erste Seillänge sind rund 45 m mit der anhaltenden Schwierigkeit 6a, danach ist man warm. In rund 30 Minuten geht es wandernd zurück ins Flußbett.
Gemütliches Steigen im 5. Franzosengrad erwartet einen in der Donjons et Dragons. In rund 30 Minuten geht es wandernd zurück ins Flußbett.
Die Ave Caesar, Ascenturi te Salutant hat einen spannenden Mittelteil und am Ende geht es hakenlos über und auf leichtem Gelände zum einladenden Gipfelplateau. Die Route liegt als einzige unserer Auswahl auf der rechten Seite. In rund 40 Minuten geht es wandernd zurück ins Flußbett.
Die Les Temps Modernes verführt auf halber Höhe mit einem Quergang nach links, dem sich eine ansteigende Rückkehr nach rechts anschließt. Laut Kletterführer kann mit 50 m Doppelseil abgeseilt werden. Wir kamen damit ca. 2 m über dem Boden an, konnten den Rest aber abklettern.
Standortwahl
Die meisten Küstenorte sowie zahlreiche Gemeinden im Hinterland bieten Unterkünfte an. Und genau das macht die Standortwahl so schwierig. Wo ist der ideale Ort, der den perönlichen Bedürfnissen entspricht?
Uns war klar, dass wir unser Quartier an der Küste beziehen wollen und so machten wir uns im Internet auf die Suche nach einem geeigneten Ort. Und waren heillos überfordert. Nachdem wir unser Kletterbegehr vor allem auf die Schlucht von Destel ausgelegt hatten, war uns klar, wir müssten uns eher westlich von Toulon orientieren.
Neben Küste ist es uns immer wichtig, vor Ort möglichst alles in fußläufiger Umgebung zu haben. Sei es die Boulangerie für das morgendliche Baguette oder die nachmittagliche Tarte, sei es der Supermarkt und Gemüsehändler für die sonstige Versorgung und vor allem freuen wir uns über einen direkten Zugang zur landestypischen Küche.
Und der Ort soll natürlich eher französischen Flair ausstrahlen statt Magnet für Massentourismus zu sein. In einer tourismusintensiven Gegend eine Herausforderung, doch nur besteht die Chance, Land, Leute und Kultur kennen zu lernen.
Unsere Wahl fiel auf Bandol. Dort buchten wir für einige Tage eine Ferienwohnung mit der Option auf Verlängerung. Schnell stellten wir fest, dass es nicht UNSER Urlaubsort ist. Sehen-und-gesehen-werden wird hier großgeschrieben und selbst in der Nebensaison sind bereits viele Touristen unterwegs. Es war für die paar Tage in Ordnung und erfüllte die Kernkriterien der Fußentfernung der gastronomischen Infrastruktur.
Von daher nahmen wir die Verlängerungsoption nicht wahr, sondern zogen in den Nachbarort Saint-Cyr-sur-Mer um. In der Hoffnung uns dort, wohler und vor allem passender zu fühlen. Und wir wurden von einem charmanten Ort begrüßt und für unsere Umzugsanstrengungen belohnt.
Vielleicht noch eines zu Bandol: Obwohl die Provence bekannt ist für seinen Rosé, ist die kleine aber feine Weinregion Bandol mit seinen rund 50 Weingütern eine der besten Rotwein-Regionen Frankreichs. Weinkaufen im Kletterurlaub ist eine feine Sache und hier wundbar möglich.
Saint-Cyr-sur-Mer
Saint-Cyr-sur-Mer ist eine Küsten- und Badeort, der etwa 20 Autominuten westlich von Toulon liegt. Auch rund 20 Autominuten sind die von uns besuchten Felsen entfernt.
Im Angebot sind Ferienwohnungen, Hotels und Campingplätze.
Saint-Cyr-sur-Mer hat eher den Charme von Scharbeutz als von Timmendorfer Strand (oder eher von Borkum als von Sylt, für diejenigen, die sich an der Ostsee nicht so auskennen). Die Atmosphäre ist herrlich relaxt und liebenswert.
Der rund zwei Kilometer lange Strand wird rechts und links von kleinen Yachthäfen begrenzt. Der Ortskern befindet sich etwas im Hinterland. Fast übersahen wir beim Schlendern über den Place Portalis das kuriose Wahrzeichen der Stadt:
Eine Miniatur-Freiheitsstatue des Bildhauers Frédéric-Auguste Baltholdi, die mit ihrer Höhe von 2,5 Meter genau der Länge des Zeigefingers ihrer amerikanischen Cousine entspricht. So gut passt sich die alte Dame, die eine exakte Nachbildung ist und 1913 zu Ehren der Fertigstellung der Wasserversorgung aufgestellt wurde, in die Kulisse der umliegenden Cafés und Bistros ein. Heute ist es nicht mehr vorstellbar, wie es ohne gewesen ist.
Auf dem Bouleplatz am Ortseingang spielen Einheimische unter den Platanen. Sein kleinerer Bruder an der Strandpromenade hingegen reizt mit Meerblick. Nebenan dreht ein Karussell für die Kleinen verlockend seine Runden, für alle anderen Hingucker und Fotomodell in einem.
Eine schöne Auswahl an Bars, Eisdielen und Restaurants, die die Bandbreite von gehoben über lokale Meeresfrüchte bis Pizza abdecken, ergänzen das Angebot der Promenade. Obwohl Saint-Cyr-sur-Mer alles hat, was ein Badeort an Infrastruktur braucht, dämmert der Ort im Frühling in einer Art Schneewittchenschlaf: Wunderbar ruhig, ohne einsam zu sein.
Auch wenn der Frühling sich bereits in einem blühenden Farbenmeer in Gelb und Violett sowie einer wärmenden Sonne zeigt, die Hauptsaison in Saint-Cyr-sur-Mer ist klar der Sommer. Das Leben soll sich draußen abspielen, darauf ist alles ausgerichtet.
Am Abend als wir zum Sonnenuntergang am Strand waren schweifte unser Blick immer wieder zu dem steilen Felsen, der scheinbar über dem Meer schwebt. Fast könnte man meinen, die Strandbarbesitzer von Saint-Cyr-sur-Mer an der Côte d’Azur hätten ihre Tische und Stühle genau auf diesen Augenschmaus ausgerichtet.
Oder vielleicht rücken wir, die Besucher, alles ganz automatisch für den Bec de l’Aigle, wie dieser imposante Felsen bei La Ciotat heißt, zurecht. Mit einem Glas Rosé in der Hand sitzt es sich dort außerordentlich gut und schnell kommt die Frage auf, ob man dort wohl klettern kann.
Mittlerweile wissen wir, man kann, aber wir haben der Verlockung widerstanden.
Klettern an der Côte d’Azur – Fazit
Wir haben bisher nur einen kleinen Ausschnitt der Kletterei an der Côte d’Azur gesehen und das Angebot ist riesig. Ich bin guter Dinge, dass auch die anderen Klettergebiete rund um Toulon einen Besuch lohnen.
Als Kind der Ostsee liebe ich es, am Meer zu sein. Das in Verbindung mit Klettern ist für mich unschlagbar.
Allerdings hat die leckere Mittelmeerküche sowie das Angebot an lokalen Weinen sicherlich auch einen Einfluss auf mein positives Urlaub.
Meine Vorbehalte gegen die Côte d’Azur, die geprägt waren von der Angst vor überfüllten Orten, Massentourismus und abgespeckten Routen wurden glücklicherweise nicht bestätigt.
Ja, ich hatte es nicht erwartet, aber der Charme von Destel in Kombination mit dem liebenswerten Ort Saint-Cyr-sur-Mer hat mich eingefangen. Sicherlich war ich nicht das letzte Mal dort, vielmehr:
Ein Wiederkommen ist sehr wahrscheinlich!