Mehrseillängen-Klettern in Destel (Toulon) – Herausfordernd: Dernière Cartouche (180m, 6 SL bis 6a+)
Felsen, Felsen, nichts als Felsen. Da weiß man gar nicht, wo man als erstes die Hand anlegen soll. Genug Auswahl gibt es in Destel für Freunde der Mehrseillängen-Kletterei bis 6a+ auf jeden Fall. Die für den heute ausgewählten Sektor namensgebende Dernière Cartouche ist im Führer mit 6c angegeben, aber durch die Kombination mit der Prédator im oberen Teil wird ein maximaler Schwierigkeitsgrad von 6a+ erreicht. Aber dazu später mehr.
Destel – Rahmenbedingungen
Bereits auf dem Parkplatz bekommt man einen ersten Eindruck der eindrucksvollen Destel-Schlucht. Magnetisch wird der Blick hineingesogen und dem einen oder anderen Kletterer kommt sicherlich auch der Begriff Verdon in den Sinn. Auf beiden Seiten der Schlucht schieben sich die zum Klettern einladenden Felsen empor.
Doch hier muss nicht wie bei seiner berühmten Cousine Verdonschlucht zuerst abgeseilt werden, sondern man tritt von unten an die Felsen heran und dort beginnt auch die Kletterei. Der Zustieg startet immer im Flussbett der Destel und manchmal beginnt auch die Klimmerei direkt dort. Bei einigen Routen muss noch etwas über mehr oder weniger befestigte Wege zum Einstieg aufgestiegen werden. Der Abstieg erfolgt meist als Wanderung zurück hinab ins Flussbett der Destel, es wird seltener über die Route abgeseilt.
Der Sektor Dernière Cartouche wurde in den Jahren 2018 – 2021 erschlossen. Dementsprechend neu sind die Haken und vor allem findet sich hier wenig Poliertes. Freunde des rauen Felsens werden vor Freude juchzen!
Mit der Kletterei in der Region sind wir bisher zwei Mal gedanklich in Berührung gekommen. Als Achim 2008 den Provence Plaisir-Kletterführer von einer Dienstreise in die Schweiz mit nach Hause brachte, las ich das erste Mal von Destel.
Damals konnten wir eigentlich noch gar nicht klettern. Und vor allem: wir konnten uns noch nicht mit französischsprachigen Kletterführern mit schlechten Zustiegszeichnungen eigenständig am Fels bewegen. Dafür freute sich unsere Bibliothek über den Familienzuwachs. Und Achim und ich blätterten ab und zu darin herum und träumten uns in den Süden Frankreichs.
Toulon war dann bis zum letzten Jahr ziemlich in der gedanklichen Versenkung verschwunden, aber dann trafen wir sympathische Kletterer in Baum Noir in der Nähe von Buis-les-Baronnies. Sie kamen aus Toulon und schwärmten von den Felsen ihrer Heimat.
Das hatte mich so beeindruckt, dass ich nicht lange nachdachte als die Werbung für den neuen Toulon-Kletterführer in mein Email-Fach flatterte. Und jetzt sind wir hier.
Dernière Cartouche – Die Routenwahl
Wir hatten uns für die Donjons et Dragons im Sektor Dernière Cartouche mit ihren 7 Seillängen, die sich auf 160 Klettermeter verteilen, entschieden. Der Bedarf an Exen war mit 10 angegeben. Der Einstieg sei direkt vom Flussbett aus und für den Abstieg sollten wir einfach den Steinmännchen folgen bis wir zum gelbmarkierten Wanderweg kommen. Das sollte leicht zu finden sein.
Bereits am Parkplatz hatten wir die Klettergurte angelegt. Wir hatten die relevanten Seiten aus dem Kletterführer abfotografiert und jeder von uns hatte die Fotos auf dem Handy gespeichert. Ein letzter Blick in den Führer und 10 Exen plus das Bescheißerele-Stäbchen (andere nennen das Ding Panik-Exe), das ich dank meines miesen Ape-Indexes beim Klettern am Gurt haben darf, wanderten in den Alpinrucksack.
„On y va!“ Es kann losgehen. Ein neues Mehrseillängen-Kletterabenteuer in Destel kann beginnen.
Erst einmal wanderten wir durch das Flussbett in die Schlucht von Destel hinein. Einge wenige Autos hatten auf dem Parkplatz gestanden, aber man weiß ja nie, ob das Kletterer oder Wanderer sind. Auf jeden Fall hörten und sahen wir niemanden.
Als der Sektor dann auf der linken Seite auftauchte, versuchten wir uns zu orientieren. Wir fanden eine markante Verschneidung und die Aufschrift Ciao Bello und damit den Namen einer der 8 am Sektor Dernière Cartouche befindlichen Routen.
Die von uns favorisierte Donjons et Dragons sollte noch etwas weiter rechts sein und so machten wir uns auf die Suche nach dem Einstieg.
„Sec!“, schallte es uns da schon entgegen und unsere Blicke wanderten nach oben. Da hing eine Seilschaft in der Wand. Schnell war uns klar, die klettern gerade UNSERE Route. Grumpf – in der ganzen Schlucht haben wir keine Kletterer gesehen, aber natürlich hängen welche in unserer Route.
Schnell entschieden wir, wir steigen nicht in die gleiche Route ein. Man weiß nie, wie schnell die sind und vor allem, bei so viel Auswahl müssen wir nicht mit Menschen über uns klettern.
Aber der Kletterführer lag im Auto, also machten wir das naheliegenste: Wir schauten auf das Foto des Topos auf unserem Handy.
„Komm, wir machen die Dernière Cartouche.“ Achim zeigte mit dem Finger auf sein Handy. „Die für den Sektor namensgebende Route ist doch eigentlich immer ein Muss!“
Ich schaute auf meinem Handy nach. „Achim, da steht 6c. Das ist zu schwer für uns.“
Achim entgegenete mir: „Ach was, das ist nur die letzte Seillänge und da können wir auf eine leichtere ausweichen. Die unteren 5 Seillängen gehen bis maximal 6a+ …“
Ich unterbrach ihn: „Du weißt schon, dass das an meiner Leistungsgrenze ist?!“ Danach schaute ich mir das Foto vom Topo noch einmal genauer an. „Du hast aber zumindest damit recht, dass die 6c erst vom Absatz weg geht und wir da einen anderen Weg nehmen können.“
Dernière Cartouche – es geht los
Leider waren im Kletterführer keine Meterangaben für die einzelnen Seillängen angegeben. Und so war ich ordentlich am Fluchen als ich bei Achim am ersten Stand ankam. „Es ist ja schön und gut, dass die Einstiegsseillänge gleich mit der Schwierigkeit 6a daherkommt, aber muss sie 45 Meter lang sein?“
Achim ist die erste Seillänge vorgestiegen. Er hatte sich nicht davon einschüchtern lassen, dass man statt der 10, wie in unser ursprünglich geplanten Route, in dieser nun 16 Exen benötigt. Immerhin hatte er noch zwei einzelne Karabiner und mein Bescheißerle-Stäbchen am Gurt gehabt und in den ersten Metern die eine oder andere wieder ausgehängt.
Mit 45 Metern anhaltend 6a hatte allerdings auch er nicht gerechnet. Mit jeden Klettermeter hatte sich der Seilzug nach unten verstärkt. Und irgendwann war auch nicht mehr viel Seil übrig, das konnte aber natürlich nur ich unten beim Sichern sehen.
Der Fels ist wunderbar rau und griffig, ich kam mir fast wie eine Erstbegeherin – also in diesem Falle Erstnachsteigerin – vor.
Ich kämpfte mich Meter um Meter die erste Seillänge hoch. Stolz darüber, dass ich sie frei und ohne hängen nachgestiegen bin, kam ich am Stand an.
„Zum Aufwärmen eine 6a, du machst Sachen mit mir.“, ergänzte ich mein vorheriges Fluchen und sortierte die eingesammelten Exen an meinem Gurt. „Dann hoffe ich mal, dass die Exen für meine 5b-Seillänge jetzt ausreichen.“
Damit verschwand ich in der Wand. Warm war ich ja nun und die 5b fühlte sich nach dem Einstieg ganz geschmeidig an. Irgendwann kam ich zu einem kleinen Absatz, der mir ideal für einen Standplatz schien. Einzig, sehen konnte ich nichts Entsprechendes.
Gerade als ich überlegte, ob ich an einem Bäumchen Stand mache und Achim nachhole, muss ich mein Gewicht verlagert haben und so eine neue Perspektive bekommen haben. Da war, vielleicht 1,5 Meter entfernt, doch zwei Haken, die den Standplatz symbolisierten. Das war natürlich schöner als selber Basteln am Baum.
Schon bald erfreute mich Achims Lächeln wieder. Freudig schob er erst sein Gesicht und dann den Rest seines Körpers über den Absatz.
Ich schickte ihn direkt weiter, denn nun sollte ein kurzer Quergang kommen und ich hatte dafür den ersten Haken bereits gesehen. Das war dann vielleicht 2er Gelände, aber bestimmt schon 70 bis 80 Meter über dem Boden.
Nun lag sie vor uns, die mit 6a+ bewertete Seillänge.
Dernière Cartouche (unterer Teil) + Prédator (oberer Teil) – 180 Klettermeter bis 6a+ verteilt auf 6 SL
Dernière Cartouche
- 1. SL: 45 m – 6a
- 2. SL: 30 m – 5b
- (15 m – 2, gesicherter Spaziergang)
- 3. SL: 30 m – 6a+
- 4. SL: 30 m – 4c
Prédator
- 5. SL: 25 m – 5c+
- 6. SL: 20 m – 5c
Dernière Cartouche – die Schlüsselstelle
„Das sieht gar nicht so schlimm aus!“ Das war vermutlich aufmunternd von Achim gemeint. Gerade hatte ich die 45 Meter 6a verdaut, war selbst eine 5b vorgestiegen und da blickte ich auf die 6a+. Mehr oder weniger meine Leistungsgrenze.
„Na dann mal los mit dir.“ Ich schickte Achim in die Route und er nahm die Aufforderung gerne an. Nachdem er sich die vom Stand aus sichtbaren Haken angeschaut hatte, wusste er, wo es langging und kletterte los.
Bald schon hörte ich Achim schnaufen. Freundlicherweise schleppt er auch im Vorstieg den Rucksack und behauptet, ihn würde das beim Klettern nicht stören. Kann ich mir zwar kaum vorstellen, aber ich genieße gerne den Vorteil des rucksackfreien Kletterns.
Meter um Meter gebe ich Seil aus und schaue mir dabei die Umgebung an. Sieht schön aus hier oben. Die eine oder andere Blume lächelt mir entgegen.
Auch diese Seillänge ist wieder ordentlich lang. Für uns wird es die schwerste an diesem Tag sein.
Die Route ist insgesamt gut gesichert und so weisen die Haken den Weg. Eine große Erleichterung. Und trotzdem ist die Routenfindung für den Vorsteiger eine Herausforderung.
Gerade in den schwereren Seillängen ist es wichtig, eine gute Linie, eine kletterbare Passage zu finden.
Immer wieder nimmt Achim sich die Zeit, sich das vor ihm liegende Gelände anzugucken, um dann zu entscheiden: Lieber etwas rechts, oder doch links oder mitten hindurch?
Irgendwann ist er am Stand und ruft mir genau das glücklich zu: „Stand!“
Nun bin ich dran. Eine tolle Seillänge. Lang und ausgesetzt und immer wieder findet sich etwas Griffiges.
Meter um Meter klettere ich Achim entgegen. Wie er nehme auch ich mir die Zeit, den Fels zu betrachten, um eine individuelle Lösung zu finden. Meine Lösung! Der Schwierigkeitsgrad ist wie in der ersten Seillänge anhaltend, dafür ist diese etwas kürzer.
So manches Mal muss ich ganz schön zupacken, um nicht aus der Wand zu fallen. Zwar im Nachstieg, doch mein ehrgeiziges Ziel ist es, die 6a+Seilänge durchzusteigen.
Dabei werde ich immer langsamer. Sehr genau schaue ich, wo ich hintrete und -greife. Ich will keine Energie für Tests, für die vergebliche Suche nach Tritten und Griffen verschwenden, so dicht bin ich an meiner Leistungsgrenze.
Ich nutze jeden Ruhepunkt und insgeheim denke ich schon, das wird nichts mit dem Durchstieg (Rotkreis). Aber ich gebe alles und bleibe dran. Atmen, konzentrieren, klettern und nicht an fallen denken, das ist der Mix aus dem der Durchstieg gemacht ist.
Immer wieder ist es knapp und doch schaffe ich es immer, mich noch fester an den Fels zu krallen. Später wird Achim mir von meinem hochkonzentrierten Gesichtsausdruck berichten.
Als ich endlich bei Achim am Stand ankomme habe ich Sternchen vor den Augen und mein Atem geht stoßweise. Ich bin die Seillänge durchgestiegen – yippie! Ich kann es nur noch denken, zum Jubelschrei fehlt mir die Energie und vor allem der Atem.
Besorgt schaut Achim mich an. „Wasser“, flüstere ich. Und danach: „Müsliriegel.“ Ich sehe uns schon die nächsten Stunden hier am Stand verbringen, so fertig bin ich. Auch glücklich über den Durchstieg, aber fertig, am Ende meiner Leistungsfähigkeit.
Und irgendwie geht es dann doch wieder. Zehn Minuten später steige ich die 4c-Seillänge vor. Froh, dass die Schwierigkeit so moderat ist.
Dernière Cartouche – bis zum Absatz
Die 4c-Seillänge führt dann fast auf den Absatz auf dem sich mehrere Routen treffen und wo eine Auswahl für die Ausstiegslänge bzw. -längen existiert.
Fast bedeutet, dass man nach dem Stand noch einen kleinen Absatz überwinden muss und danach entspannt aufsteigen bzw. gehen kann. Dann wartet ein felsiges bewachsenes Plateau, das zum Verweilen motiviert bevor man sich die letzten Klettermeter vornimmt.
Die Einladung zur Pause nehmen wir gerne an. Mir stecken die bisherigen Klettermeter in den Knochen und ich will die letzten Meter entspannt steigen. Außerdem ist die Route als Tagesausflug geplant, da gibt es keine Hektik.
Weiter in der Prédator
Ich entscheide mich für die Prédator als Ausstiegsvariante. Die passt mit ihren 5c+ und 5c-Seillängen gut in das Schwierigkeitsgefüge. Mit ein bißchen Suchen finden wir einen Einstieg, der zur Prédator gehören könnte.
Ein kleiner Einstiegsüberhang – vermutlich die 5c+-Stelle – und dann gemütliches Steigen bis zum Stand. Nach den bisherigen Strapazen durchaus noch anspruchsvoll, aber sehr gut machbar und wie ich finde ein würdiger Abschluss für einen schönen Klettertag.
Ich hole Achim nach und überlasse ihm die Ehre der letzten Seillänge. Frohgemut steigt er ein und schon bald schallt mir: „Stand!“ entgegen. Nach den üblichen Seilkomandos und den passenden Handlungen geht es auch für mich auf die letzten Klettermeter.
Geschafft!
„Berg heil!“ Der Bergsteigergruß gehört zu jeder erfolgreichen Begehung dazu. Mehr müssen wir auch nicht sagen. Vielmehr blitzen unsere Augen und jeder sieht dem anderen die Freude über den grandiosen Tag an.
Nun werden erst einmal die Kletterschuhe gegen gemütliche getauscht, denn es wird nicht abgeseilt sondern abgestiegen. Dann werden die Klettersachen sortiert und dabei der Ausblick genossen.
Es ist wirklich schön, hier oben zu sein. Keine andere Seilschaft ist zu sehen oder zu hören. Nur das obligatorische Motorrad fährt die kurvenreiche Straße, die auch zu unserem Parkplatz führt. Aber das ist gerade nicht so wichtig. Im Hier und Jetzt ist alles gut.
Irgendwann machen wir uns auf den Weg und damit auf die Suche nach dem Abstieg. Der ist schnell gefunden und bald ein Wanderweg, dem wir ins Flußbett der Destel folgen. Weiter geht es zum Auto und die Vorfreude auf das Glas Rosé in einer Strandbar der Côte d’Azur macht sich breit.
„Das haben wir uns verdient“, sagt Achim grinsend und ich kann ihm nur zustimmen.
Dernière Cartouche – Fazit
Am Anfang eine Notlösung, doch dann eine wirklich schöne Route.
Klar, sie ist herausfordernd und hat mich an meine Leistungsgrenze erinnert. Aber auch das ist gelungen und so bin ich glücklich über und stolz auf das Geschaffte!
Und ich fühle mich zurück nach Ubrieux versetzt. In die Frisson pour une jeune fille. Auch hier waren jeweils eine 6a und eine 6a+-Seillänge Protagonisten, die mich an den Rand der Verzweifelung trieben. Es bleibt die Fragen offen, warum ich mich immer wieder von Achim in solche Routen reinquatschen lasse.
Es sei noch angemerkt, das die andere Seilschaft gar nicht in unser geplanten Route gewesen ist … und die Donjons et Dragons haben wir ein paar Tage später nachgeholt.
Alles in allem:
Diese Kletterei ist eine Einladung, wiederzukommen und noch mehr in der Schlucht von Destel zu klettern. Und wir haben sie angenommen. Vier Wege haben wir gemacht und jeder war seine Weise lohnend und auch besonders. Am besten hat mir jedoch die Dernière Cartouche mit der Ausstiegsvariante Prédator gefallen.
Die Schlucht von Destel hat noch mehr zu bieten: Wir kommen wieder, das ist sicher.
Hardfacts für eilige Leser
Kletterführer: Toulon et ses Environs – Tome 2 – 2022. FFME Comité Var
Seillängen: 6a, 5b, ein kurzer gesicherter Quergang im 2. Grad, 6a+, 4c – danach ist man auf einem Plateau und geht ein paar Meter, um an den Felsfuß zu gelangen. Die Dernière Cartouche geht mit einer 6c weiter, aber man kann hier problemlos in leichtere letzte Seillängen wechseln. Wir haben die letzten beiden Seillängen der Prédator (5c+, 5c) als Ausstiegsalternative gewählt.
Material: 50 m Doppelseile, 16 Exen
Zustieg: Vom Parkplatz dem Flussbett der Destel folgen. Nach rund 12 Minuten ist der Sektor auf der linken Seite. Der Name ist angeschrieben. Die Namen der oberen Routen auf dem Plateau sind nicht angeschrieben, d. h. man muss sich etwas orientieren, was aber einfach gelingt.
Abstieg: Abseilen ist nicht möglich. Zu Fuß geht es in rund 25 Minuten zurück ins Flussbett der Destel.